Als Ausgleich zu meinem Job habe ich, Gunter Schmitt, vor mehr als 10 Jahren begonnen Improvisationstheater zu spielen. Anfangs war ich begeistert, wie flexibel und schnell die Spieler darin waren, sich auf neue Situationen und Impulse einzustellen. Beim Improtheater ist alles überraschend, für die Zuschauer und insbesondere für die Darsteller. Diese sind deshalb darin geübt, reaktionsfreudig zu sein: Nur ein wirksamer Spieler bringt die Story weiter. Und wirksam kann einer nur dann sein, wenn er die Ideen seines Mitspielers annimmt und nicht blockiert.
Andererseits half es mir meine Introvertiertheit zu verlieren und ein Hobby, das mittlerweile Teil meiner Lebensphilosophie ist, mit meiner Frau zu teilen.
Nun beginnt meine Firma damit agile Methoden einzuführen, worauf hin ich den Scrum Master machen durfte. Ich merke das ich hier offener bin als viele Andere. Das liegt wahrscheinlich daran das man z.B. die Werte von Scrum “eins zu eins” auf das Improvisationstheater übertragen kann und ich diese somit schon verinnerlicht habe.
Warum dieser Text?
Wirksamkeit und Flexibilität sind, aus meiner Sicht, ebenfalls wesentlich für das Gelingen von agilen Projekten.
Wirksam soll es sein und flexibel muss es sein. Es gibt weitere Parallelen zwischen agilen Arbeiten und Improvisationstheater. Dies versuche ich mittels der fünf Scrum-Werten Offenheit, Commitment, Respekt, Mut und Fokus zu verdeutlichen.
Was ist Improtheater?
Keith Johnstone kreierte Mitte des 20. Jahrhunderts ein Konzept namens Theatersport, um die Zensur auf den Bühnen Großbritanniens zu umgehen und diese Form des Theaters als Sportveranstaltung zu verkaufen.
Langeweile verschwand, die Zuschauer waren direkt beteiligt am Geschehen, riefen Begriffe, die auf der Bühne von den Spielern umgesetzt wurden und auch schon mal dazu führten, dass Spieler ausgebuht wurden.
Diese Tradition setzt sich bis heute fort; Theater wird zu einem Event, in dem der Zuschauer sagen darf, was er gerne sehen will, in dem Situationskomik entsteht, weil keiner weiß, was gleich geschehen wird und in der die Spieler hochgradig gefordert sind, Vorstellungen und festgelegte Gedankenbahnen aufzugeben und sich ganz der Kunst des kreativen Umsetzens von spontanen Ideen hinzugeben.
Man könnte auch sagen das hier ein selbstorganisiertes Team (das Ensemble) ein Produkt (die Geschichte) in einem komplex adaptiven System (Unwissenheit der Situation und teilweise surreale Vorgaben des Publikums) umsetzt.
Vergleich Improtheater und agiles Arbeiten anhand der Scrum-Werte
Scrum-Wert - „Offenheit“ / Im Improtheater: “Annehmen – JA sagen und nicht blockieren”
Wenn man die Bühne betritt und ein Anderer bereits etwas etabliert hat (z.B. den Ort: eine Metzgerei mit Schlachtbank, Theke, Stuhl...), gilt es diese Vorgabe anzunehmen und nicht zu ändern. Hierbei kann es passieren das man auf Grund zu weniger Informationen und anhand der eigenen Erfahrungen, das etablierte falsch interpretiert wird (z.B. man läuft fast durch die Theke). Dies könnte wiederum zu Fehlern führen, welche wir feiern können (“Horst, wie oft sag ich Dir, dass da die Theke ist. Jeden Morgen das Gleich, wenn Du ohne Kaffee arbeitest...” Ein Lacher für Alle ohne Peinlichkeit.)
Generell gilt im Impro die Regel des Annehmens. So sollte man schnell reagieren, wenn der Partner einen mit „Hallo Opi“ begrüßt und z.B. in die Rolle des Großvaters gehen. Hierbei sollte man beachten das nicht eine Person das Spiel dominiert (sein Ding durchzieht) sondern man selbst immer wieder als Ideengeber in Erscheinung tritt. Man sagt nicht einfach „Ja“ sondern „Ja und“. Nur das „Yes and“ kann die Geschichte vorantreiben und somit wird der Fluss nicht unterbrochen.
Die Fähigkeit der Offenheit innerhalb eines Scrum Teams beseitigt das Hemmnis (Impediment), welches nur wohldurchdachte Ideen zulässt. Dieses Hemmnis führt dazu das nur Diejenigen sich im Team zu Wort melden, welche denken “die Besten” zu sein bzw. die besten Ideen zu haben. Meistens sind es auch Diejenigen, welche keine anderen Ideen zulassen wollen. Für eine qualitativ hochwertige Lösung komplexer Probleme wird eine breite Basis an Ideen benötigt. Dies bedingt eine Willkommenskultur für Ideen innerhalb des Teams. Eine Methode, zu prüfen ob eine Idee, bzw. deren Umsetzung, die gewünschte Qualität erreicht, ist diese auszuprobieren. Wobei wir immer an folgendes denken sollten:
Everyone said it couldn't be done, then someone who hadn't heard that turned up and did it straight away!
Die Ideen Anderer und die eigenen sind maßgeblich für den Erfolg einer Geschichte. Improspieler haben dies verinnerlicht. Im Improtheater wird dies trainiert, innerhalb des Scrum Frameworks wird es gebraucht.
Scrum-Wert - „Commitment“ / Im Improtheater: “Blockieren vermeiden”
Eine weitere Regel, welche der Regel des Annehmens gleichzusetzen ist, ist „Blockieren vermeiden“. Dies bedeutet, etabliertes – oder eine (gesetzte) Idee nicht zu negieren, obwohl der eigene/innere Zensor diese nicht akzeptieren will. Dies könnte die Szene beenden oder, im schlimmsten Fall, die ganze Geschichte zu nichte machen.
Wieso können Impro Spieler gut Geschichten erzählen?
Sie machen sich bewusst das sie nur zusammen etwas Einmaliges erschaffen können (Collective Ownership). Dies gelingt ihnen durch Synchronisation der einzelnen Angebote (Ideen) und der daraus entstehenden Handlungen. Dabei ist wichtig das jeder weiß:
- Wo (Örtlich) befinde ich mich gerade?
- Wer ist in dieser Szene beteiligt (Personen)
- Was ist das momentane und gesamte Thema?
- Wann bzw. an welcher Stelle (Phase) der Geschichte befinden wir uns?
Beispiel:
A: „Captain, sollen wir die Segel setzen? Der Wind von Nordost frischt auf.!“ (Aha, wir sind anscheinend in einem Segelschiff.)
B: „Natürlich erster Offizier. Sorgen Sie dafür, dass wir endlich unser Ziel erreichen. Die Windstille der letzten Wochen war zu viel für die Mannschaft.” (Es gibt den Captain, den ersten Offizier und eine Mannschaft im Hintergrund)
A: „Aye-aye Captain! Ich kann Indien schon riechen und das Land fast schmecken. Nur noch eine halbe Seemeile” (Reiseziel vor Augen)
B: “Und dann holen wir uns den Schatz Offizier Clifford. Nie wieder werden wir so reich sein!” (Am Anfang einer Schatzsuche)
Doch was, wenn eine andere Idee als meine die Geschichte besser voranbringt?
In diesem Fall versuche ich meine Idee “über Bord zu werfen” und der anderen Idee zum Erfolg zu verhelfen. Bei Commitment geht es um den Team Erfolg vor dem eigenen Erfolg. Wäre die Situation eine andere kann ich davon ausgehen, dass die Kollegen meiner Idee folgen.
MVP (Minimal Viable Product) ist für Impro Spieler auch kein Problem und eines der ersten Dinge, welche sie lernen. Hierzu zählt das Entwickeln von Szenen, welche in sich abgeschlossen sind und im Endeffekt der Geschichte dienen. In diesen werden schnell wichtige Fragen geklärt wie Wo sind wir, wer sind wir, warum sind wir hier und was wollen wir zeigen. Jede Szene beeinflusst die Gesamtgeschichte, wobei die erste Szene meistens die Plattform für die Geschichte etabliert.
Im Improtheater wird dies trainiert, innerhalb des Scrum Frameworks wird es gebraucht.
Scrum-Wert - „Respekt“ / Im Improtheater: “Lass den Anderen gut aussehen.”
Ist es Ihnen schon einmal passiert das Sie in einem Meeting etwas sagen wollten und als es soweit war, war alles in ihrem Kopf weg? Warum ist diese Situation für uns peinlich? Nicht weil wir alles vergessen haben, sondern wegen der Reaktion der Kollegen!
Genau das kann auch Improspielern passieren. Hierbei kann es dazu kommen, dass man auf der Bühne steht und absolut keine Ahnung hat was man spielen soll. Nun werden auch die Ensemblemitglieder reagieren - aber anders als im Meeting. Ein anderer Spieler könnte zum Beispiel hingehen und den Erstarrten mit folgenden Worten begrüßen: „Oh weiser Rahmus, der Du all die Zeit in der Einsamkeit verbracht hast, was führt Dich in unser Dorf? Hörtest Du von unserem Unglück?“. Somit ist das erstarrt sein nicht mehr peinlich, sondern gehört zu dem Stück. – It is not a bug, it is a feature!
Die hieraus resultierende Botschaft an jeden im Team ist, das er nicht fallen wird, wenn er scheitert, sondern weich aufgefangen wird: “Dein erarbeiteter Respekt wird durch diesen Fehler nicht schwinden und Du kannst Dich sicher fühlen”
Ich möchte hierzu auf die Show „15 Minutes of fame“ verweisen, welche in Winnipeg von Stephen McIntyre entwickelt wurde. In dieser trifft Lee White auf einen Zuschauer, am besten einen, der nie zuvor auf einer Bühne gestanden hat, und spielt mit diesem gemeinsam eine improvisierte Szene. Eine ganz außergewöhnliche Erfahrung für die, die den Mut haben mitzuspielen.
Im Improtheater wird, anders als im wirklichen Leben, offen mit Schwächen der Personen umgegangen (z.B. Der vegane Barista, der ein schlechtes Gewissen hat, da er Kuhmilch verarbeiten muss). Diese können die Geschichte vorantreiben oder den Beginn einer „Heldenreise“ markieren. Schwächen zu verbergen kostet Energie, welche Improspieler nicht bereit sind zu verschwenden.
Im Scrum Framework würde ein solches Team experimentierfreudig sein und hätte Lust auf Abenteuer. Im Improtheater wird dies trainiert. - Innerhalb des Scrum Frameworks wird es gebraucht.
Scrum-Wert „Mut“ / Im Improtheater: “Mut zum Scheitern”
Improspieler haben trainiert schnell zu definieren was Mut zur Entscheidung benötigt. Allein auf einer leeren Bühne gibt es keine dringlicheren Fragen als:
- Wer bin ich?
- Wo bin ich?
- Wie ist die Situation?
- Wie geht es weiter?
Erfundene Figuren haben keine Probleme von Anfang an, deshalb ist ein Teil der Geschichte, diese zu generieren. Hierbei wird darauf geachtet, dass die Probleme so groß wie möglich sind, damit man kreativ Lösungen finden kann. Hier können Konzepte zur Problemlösung erdacht, ausprobiert und trainiert werden.
Improspieler lieben, wie ihr Publikum, die Herausforderung. Unmögliches wird gerne versucht und geschafft.
Beispiel:
Heidi ist eine stille und fast unsichtbare Frau. Mutter von 2 Kindern, geliebte Tante, geschätzte Buchhalterin und geliebte Ehefrau; die gerne strickt, backt und bügelt. Doch sie hat ein Geheimnis. Sie trainiert heimlich für die Meisterschaft im Synchronschwimmen mit ihrer besten Freundin Biene. Niemand außer Biene weiß von ihrer Leidenschaft; eher gilt sie sonst als Nichtschwimmerin und langweilig. Jetzt findet die Landesmeisterschaft in Schweden statt und sie soll dort mit Ihrer Freundin starten. - Wie das wohl ausgeht?
Auf der Bühne geht man aus seiner Komfortzone heraus. Hierbei erlebt man einen Kontrollverlust und trainiert / lernt diesen auszuhalten. Man kann mutig sein und Risiken eingehen, da man darauf zählen kann von seinen Mitspielern unterstützt zu werden (siehe oben).
„Agile is values and principles. And nothing guarantees success (Ron Jeffries)“.
Im Improtheater wird dies trainiert, innerhalb des Scrum Frameworks wird es gebraucht.
Scrum-Wert „Fokus“ / Im Improtheater: “Halte den Kurs!”
Das Ziel des Improensembles, im Langformat, ist es eine Geschichte zu erzählen, wobei jede einzelne Szene in sich abgeschlossen ist. Es wird sich auf die Szene konzentriert, welche gerade gespielt wird; wobei äußere Parameter wie die Vorgaben des Publikums, der Spannungsbogen und der Verlauf der Geschichte immer im Kopf behalten werden. Man folgt sozusagen immer auf der Meta-Ebene dem aktuellen Geschehen.
Ähnlich ist es im Scrum Framework. Hier geht es um das Produktziel, welches in Sprints erreicht wird, wobei jeder Sprint ein MVP ist. Äußere Parameter wie Vorgaben des Kunden, Änderungen/Erweiterungen wären der Entwicklungszeit und das Produktziel sind auch hier gegeben.
Auf der Bühne und im Scrum Framework wird dasselbe erreicht, ein erfolgreiches Produkt (eine Geschichte) wird released, welches den Kunden (die Zuschauer) zufrieden stellt.
Im Improtheater wird dies trainiert, innerhalb des Scrum Frameworks wird es gebraucht.
Was wäre noch zu sagen
Wer nun aber denkt Impro benötigt keine Reflektion oder ist nur der Spaß auf der Bühne irrt sich. Zwischen den Auftritten ist Training der Methoden angesagt und ebenso das „Review Meeting“ nach der Show bleibt keinem erspart. Hier wird analysiert was gut gelaufen ist, wie man verbessern könnte, was man das nächste Mal anders machen will.
Durch Methoden des Improtheaters wird die Bildung von Teams, deren Zusammenhalt, Kommunikation, Aufmerksamkeit, Umgang, Flexibilität und Kreativität verbessert. Zum anderen können hier direkte Methoden vermittelt werden, welche in agilen Teams benötigt werden.
Trainings
Trainings zum Thema Improvisationstheater werden z.B. von Doris Decker, Schauspielerin, Impro-Trainerin, Gestalttherapeuthin und aktive Mitspielerin der Improtheatergruppe “die Flummis”/Mannheim angeboten und durchgeführt.
Unterstützt wird sie – je nach Kundenauftrag - von Gunter Schmitt, Scrum Master, Impro-Trainer, Informatiker und ebenfalls aktiver Mitspieler der Improtheatergruppe “die Flummis”/Mannheim.
“Die Flummis” GBR aus Mannheim ist eine der ersten Gruppen in Deutschland, welche fast nur lang Formate (abendfüllende und zusammenhängende Geschichten bzw. ganze “ungeschriebene Theaterstücke”) auf die Bühne bringt.